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Tagung: 45 Jahre ‚Kleine Strafrechtsreform‘. Kontinuitäten und Brüche im Umgang mit Homosexualität(en) in Österreich im 20. Jahrhundert (23. bis 24. Juni 2016, Universität Wien)

Erich Lifka, Gefängnistagebuch mit Kalender. Copyright: QWIEN - Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte, Nachlass Erich Lifka

Das Tagungsprogramm ist ab nun online abrufbar. Wir bitten um Anmeldung für die Tagung und möchten dringend darauf hinweisen, dass für einen Einlass zur Führung und zur Podiumsdiskussion (beide im Landesgericht für Strafsachen Wien am 24. Juni) eine Anmeldung unbedingt notwendig ist. Der Einlass kann sonst nicht gewährt werden.

Ort: Dachgeschoß des Juridicum, Schottenbastei 10-16, 1010 Wien

Die Strafverfolgung gleichgeschlechtlicher Sexualität erreichte in Österreich im 20. Jahrhundert durch das NS‐Regime ihren grausamen Höhepunkt und mit der ‚Kleinen Strafrechtsreform‘ 1971 einen Endpunkt – zumindest endete damit das Totalverbot. Die rechtliche Grundlage bildete § 129 I b des Strafgesetzes von 1852 (StG), ein Tatbestand, der auf das mittelalterliche kirchliche Konstrukt der ‚Sodomie‘ zurückging, das in Judikatur und Rechtslehre noch im 20. Jahrhundert reflektiert wurde. Mit der Aufhebung des Totalverbots durch die sogenannte ‚Kleine Strafrechtsreform‘ im Jahr 1971 endete die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen im Strafrecht aber nicht vollständig. Vier neue Tatbestände wurden zum vermeintlichen Schutz der Gesellschaft vor einer nach wie vor als unzüchtig angesehenen Sexualität geschaffen. Erst im Jahr 2002 wurde der letzte dieser Tatbestände vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannt und aufgehoben.

2016 jährt sich die ‚Kleine Strafrechtsreform‘ zum 45. Mal. Die Strafverfolgung gleichgeschlechtlicher Sexualität ist aber kein vollständig abgeschlossenes Kapitel der österreichischen Geschichte: Gegenwärtig befindet sich ein Gesetz im Entstehen, das die Tilgung der letzten Vormerkungen im Strafregister wegen § 129 I b StG und wegen anderer einschlägiger Tatbestände zum Gegenstand hat (Jugendgerichtsgesetz‐Änderungsgesetz 2015). Die dabei vorgeschlagenen Änderungen im Tilgungsgesetz gehen auf eine Verurteilung der Republik Österreich durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zurück: Die Tatsache, dass bis heute Personen wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Kontakte als vorbestraft aufscheinen, stellt laut einem Urteil des EGMR aus 2013 (E.B. and Others vs. Austria, 7. 11. 2013) eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention dar.

Bis heute ist es darüber hinaus nicht gelungen, den in Österreich als Homosexuelle verfolgten Opfern des NS‐Regimes ein nationales Denkmal zu errichten. Betroffene galten lange Zeit nicht einmal als Opfer einer verbrecherischen Verfolgung sondern als zu Recht verurteilte Kriminelle – erst im Jahr 2005 wurde diese Gruppe in das Opferfürsorgegesetz aufgenommen. Eine völlige Gleichstellung von LSBTI (Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans‐Personen und Intersexuellen) mit allen anderen Staatsbürger_innen ist im österreichischen Recht aber noch nicht hergestellt, z.B. eine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher mit gegengeschlechtlichen Beziehungen im Eherecht. Weiterführende Fragen, wie etwa eine Vermittlung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt im Sexualunterricht, werden oft kontrovers debattiert und weisen auf nach wie vor existierende gesellschaftliche Ressentiments hin.

Die Tagung 45 Jahre ‚Kleine Strafrechtsreform‘. Kontinuitäten und Brüche im Umgang mit Homosexualität(en) in Österreich im 20. Jahrhundert hat zum Ziel, historische Aspekte dieser Strafverfolgung, deren Nachwirken bis in die Gegenwart und die diesbezügliche Erinnerungskultur zu untersuchen. Im Blick sind dabei sowohl der Vergleich mit internationalen Entwicklungen, die in ihren Einflüssen auf die österreichische Gesellschaft und insbesondere auf das Rechtssystem untersucht werden sollen, als auch gegenwärtige gesellschaftliche Debatten zur weiteren (rechtlichen) Gleichstellung von LSBTI. Eingebettet wird die Diskussion in die übergeordnete Frage nach Kontinuitäten im Umgang mit so genannten Minderheiten im 20. Jahrhundert, den Möglichkeiten gesellschaftlicher Intervention sowie der Rolle sozialer Bewegungen. Dabei soll neben historischen und juristischen Perspektivierungen einem breiten Spektrum wissenschaftlicher Annäherungen Raum gegeben werden (Soziologie, Politikwissenschaft, Europäische Ethnologie, Kultur‐ und Sozialanthropologie, Pädagogik etc.), um umfassend einen bedeutenden Aspekt der Rechts‐, Geschlechter‐ und Sexualitätsgeschichte im 20. Jahrhundert zu beleuchten.

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